Joachim Gauck über Deutsche Einheit

Zum 29. Jahrestag der Deutschen Einheit hat der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck auf die Bedeutung der friedlichen Revolution in der DDR verwiesen. „29 Jahre deutsche Einheit, aber 30 Jahre Demokratie“, sagte Gauck der Redaktion von RTL und n-tv. „Das ist mir immer wichtig, dass die Menschen in Deutschland begreifen: Vor der Einheit kam die Freiheit.“

Die Deutschen hätten nicht so eine tolle Freiheitsgeschichte, so Gauck weiter. „Wenn 1989 eine wirkliche Umwälzung, eine friedliche Freiheitsrevolution stattgefunden hat, dann muss das auch ins kollektive Bewusstsein der Nation.“ Die Deutschen sollten sich klarmachen: „Kein Mauerfall, ohne dass in Sachsen die Menschen aufgestanden wären und in Massen auf der Straße waren – ‚Wir sind das Volk'“, sagte der 79-Jährige, der von 2012 bis 2017 das deutsche Staatsoberhaupt war. „Und deshalb möchte ich, dass wir nicht nur die Bildikone 9. November vor Augen haben, sondern auch diesen Freiheitskampf.“ Einen Monat vor dem Mauerfall am 9. November hatte es am 9. Oktober in Leipzig eine Großdemonstration gegeben. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften der DDR stand bereit, griff letztlich aber nicht ein.

Gleichzeitig kritisierte Gauck die pessimistische Einstellung vieler Menschen heutzutage: „Die Deutschen mögen sich einfach immer ein bisschen bedrückt und schlecht fühlen, dann sind sie gesund.“ Dabei habe das Land „unglaublich viel erreicht“. Nach dem tiefen Fall der Nazi-Diktatur und den Jahren der kommunistischen Unterdrückung sei Deutschland nun 30 Jahre vereint in Frieden und Freiheit. Er selbst hätte nicht gedacht, dass er ein vereintes Deutschland noch erleben werde, so Gauck. Ihm sei aber klar gewesen, dass seine Kinder das einmal erleben würden. „So viel Ineffizienz in der Wirtschaft und so viel Lüge in der Politik – da habe ich gedacht: Das dauert nicht ewig“, sagte er über die DDR.

Nach der Meinung Gaucks „leben wir in den besten Zeiten, die Deutschland jemals in seiner Geschichte gehabt hat“. Auf der anderen Seite hätten die Deutschen Sorgen: „Berechtigte Sorgen, wenn wir ans Klima denken, aber auch Sorgen um den gesellschaftlichen Ausgleich, um das tolerante Umgehen miteinander. Und Ost und West ist auch ein Problem.“

Er selbst empfinde aber häufig den Widerspruch zwischen Ossi und Ossi größer als zwischen Ossi und Wessi. „Die Menschen, die damals für die Freiheit gekämpft haben und auf die Straße gegangen sind, die haben dafür gesorgt, dass eine ganz andere Gruppe der Gesellschaft von ihren Schlüsselpositionen wegkam.“ Riesige Apparate der DDR – Stasi, Polizei, Armee, Partei, Staat – hätten ihre Bedeutung verloren. „Einige von denen haben das bis heute nicht richtig verarbeitet. Zuerst haben sie die Linkspartei aus Protest gewählt, jetzt wählen sie die Rechten aus Protest, als wären sie noch nicht richtig angekommen.“ Die jüngere Generation habe dagegen ein völlig anderes Lebenskonzept, „die freuen sich über die Freiheit, über die offene Gesellschaft. Und deshalb reibt sich im Osten das Ganze manchmal stärker untereinander als zwischen Ost und West“, so Gauck.

Das komplette Interview mit Joachim Gauck sehen Sie am Donnerstag um 10:30 Uhr bei n-tv und ab 7 Uhr vorab bei n-tv.de.

Quelle: „Frühstart“ aus der RTL/n-tv Redaktion.

Joachim Gauck, ehemaliger Bundespräsident.
Foto: TVNOW