Bereits zum 12. Mal findet vom 23.-28. November 2016 die Russische Filmwoche in Berlin statt und eröffnet umfassende Einblicke in das russische Gegenwartskino. Die diesjährige Filmauswahl überrascht nicht nur mit einer Genrevielfalt, sondern mit unkonventionellen Blickwinkeln, globalen Themen und innovativer Ästhetik. Als Special Screening und frisch von den Filmfestspielen in Venedig präsentiert die Russische Filmwoche die Berlinpremiere des mit dem Silbernen Löwen für Beste Regie ausgezeichneten Dramas „PARADIES“ von Andrej Kontschalowskij. Der meist diskutierte Film der Saison geht als russischer Oscar-Anwärter in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ ins Rennen und ist erst im Frühjahr im deutschen Verleih zu erwarten. Der international wohl prominenteste russische Regie-Altmeister überrascht in seiner dramatischen Parabel mit einem für das russische Kino völlig neuen Blickwinkel auf den zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Allen politischen Wirrungen zum Trotz, beweist der Streifen, wie wichtig der gesamteuropäische Blick auf das schwerwiegendste Ereignis des vergangenen Jahrhunderts ist und bleibt. Vielschichtig und tiefgründig rückt das Meisterwerk neben globalen philosophischen Ideen das Persönliche und Schicksalhafte in den Vordergrund und schafft somit ein ergreifendes Werk, das letztlich eine universelle Geschichte erzählt, die grenzenlos übertragbar ist und zum tiefgründigen Erinnern und Nachdenken anregt.
Die Erkenntnis, dass der gesamteuropäische Kontext durch die zunehmend globalisierte Welt immer weniger einzelne Nationen, sondern die internationale Weltgemeinschaft vor gemeinsame Herausforderungen stellt, bringt auch in Russland mehr universelle Geschichten auf die Leinwand, die menschliches Verhalten in Extremsituationen und bei alltäglichen persönlichen Herausforderungen zwischen Sehnsucht und Ängsten thematisieren. Das Jugenddrama „KICKPLATZ“ befasst sich auf emotionale und sehr authentische Weise mit dem stets brisanten Spannungsfeld existenzieller Ängste, damit verbundener Fremdenfeindlichkeit und gesellschaftlichen Dynamiken, die diese nähren. Im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch erzählt es vom Überwinden dieser Ängste, damit zusammenhängender Generationenkonflikte und davon, dass am Ende – nicht nur auf dem Fußballplatz – doch alle gleich sind. Konflikte zwischen Tradition und Moderne ziehen sich auch durch den Thriller „DUNKLE WASSER“, wo sich der ambitionierte, junge Maxim in ein entlegenes Dorf aufmacht, welches ihm und seinen Begleitern feindselig und alles andere als offen für Neues begegnet. Alexander Proschkins „WACHSCHUTZ“ hingegen beweist, dass Provinz und Dorfleben nicht immer langweilig und konservativ sein müssen: mit einfühlsamer Leichtigkeit, bunten Bildern und prägnanten Dialogen wird die Geschichte der aufgeweckten Claudia erzählt, die sich zwischen Sehnsucht nach Liebe und Zweisamkeit im desillusionierenden Dorfalltag bewegt.
Starke Frauen sind im diesjährigen Programm im Allgemeinen sehr präsent und glänzen vor und hinter der Kamera: Tatjana Woronetskaja überrascht mit der experimentellen Regiearbeit „VERKLÄRUNG“, in der ein junger Mann die Fähigkeit besitzt durch Menschen, deren Körper und Geist zu reisen und somit auf fantasievolle Weise ein vielschichtiges Porträt menschlicher Gefühlswelten zeichnet. Dabei ist nicht nur das Thema speziell, sondern auch die innovative Filmsprache, die an eine bunte Collage verschiedener Film- und Kunsttechniken erinnert und von der Regisseurin selbst als „filmische Installation“ bezeichnet wird. Zurecht galt der Film als Sensation des diesjährigen Internationalen Moskauer Filmfestivals. Die international nicht unbekannte Regisseurin Anna Melikjan begleitet in ihrem neusten Film „ÜBER DIE LIEBE“ sehr unterschiedliche Protagonisten beim Suchen und Finden der großen Liebe im modernen Moskau. Melikjans gefeierter Stil, der gekonnt zwischen Arthouse und Mainstream zu balancieren scheint, greift den Zeitgeist der russischen Hauptstadt und moderner Liebes- und Lebensentwürfe mit viel Humor, Einfühlungsvermögen und schauspielerischen Glanzleistungen von Renata Litwinowa und Maria Schalaewa gleichzeitig authentisch und stilisiert auf.
Das russische Blockbusterkino punktet 2016 ganz unerwartet mit einem überraschenden Trend. Gleich mehrere eher in der internationalen Festivalszene bekannte junge russische Regisseure inszenieren mit Erfolg hochbudgetige Streifen. In Berlin wird dabei der größte Kinostart des Jahres, der millionenschwere Blockbuster „EISBRECHER“ von Nikolaj Chomeriki präsentiert, der die Besatzung eines vom Kurs abgekommenen Eisbrechers begleitet. Die physische Extremsituation wird auf psychologischer Ebene bis aufs Äußerste ausgereizt, zwischenmenschliche Konflikte und Entscheidungen, die zwischen Linientreue, persönlichen Überzeugungen und gesundem Menschenverstand getroffen werden müssen, fordern die Crew durchgehend heraus und überraschen mit immer neuen Kollisionen. Spannungsgeladen und atemberaubend durch die eindrucksvollen Aufnahmen des ewigen Eises überzeugt der Blockbuster nicht zuletzt auch durch hervorragende schauspielerische Leistungen.
Russische Filmwoche in Berlin November 2016
Zusammenfassend lässt sich die Tendenz des diesjährigen Programms als inhaltlich und formal experimentell, ästhetisch vielfältig, modern und intellektuell beschreiben, mit zusätzlichen Spannungsbögen von meditativen Roadmovies, wie Iwan Wyrypajews „DIE ERLÖSUNG“, bis hin zum äußerst gelungenen Genrekino, wie in Renat Dawljetjarows Thriller „REINE KUNST“. Im Fokus stehen Emotionen aller Art, die die Menschen vor unterschiedlichste Herausforderungen stellen und einen Balanceakt zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Ansprüchen verlangen.
Alle Filme werden im Original mit englischen oder deutschen Untertiteln im Filmpalast am Friedrichshain und dem Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur gezeigt. Das Festival wird von den Agenturen „Interfest“, „Real Dakota“, „Mediaost Events & Kommunikation GmbH“ veranstaltet und unter Beteiligung von „Interkultura Kommunikation“ sowie mit Unterstützung des Kulturministeriums der Russischen Föderation organisiert.
Weitere Informationen auf www.russische-filmwoche.de