Es war sein Ziel nach Bronze in London 2012 erneut eine olympische Medaille zu gewinnen, doch am Dienstagnachmittag Ortszeit in Rio musste Dimitrij Ovtcharov dem Weißrussen Vladimir Samsonov den Vortritt lassen. Der an Position drei gesetzte Deutsche unterlag seinem langjährigen Teamkollegen beim russischen Topclub Orenburg in sechs Sätzen. In einem taktisch geprägten Viertelfinale zweier Spieler, die sich aus dem Effeff kennen, verpasste Ovtcharov eine Reihe von Chancen und hatte gerade gegen Ende auch wenig Fortune. „Ich hatte vor allem in den Sätzen zwei und sechs etwas Pech, beim Stande von 7:7 im zweiten und bei der hohen Führung im sechsten Satz. Da habe ich einige unglückliche Bälle kassiert“, sagte der Europameister, bekannte aber auch selbstkritisch: „Ich hätte mir das Leben einfacher machen können, wenn ich vor allem im dritten Satz bei den Satzbällen etwas ruhiger gewesen wäre, besser aufgeschlagen hätte. Da war die Anspannung recht groß. Das habe ich nicht ruhig genug gelöst, das ist nicht typisch für mich. Das ist natürlich sehr ärgerlich. Symptomatisch war der dritte Durchgang, in dem Ovtcharov erst in starker Manier Satzbälle abwehrte, dann selbst vier vergab und schließlich mit 17:19 verlor.
„Ich bin mit dem großen Ziel hier angereist, eine Medaille zu holen. Insofern bin ich natürlich sehr enttäuscht“, sagte Ovtcharov. Gegen Samsonov hat der 27-Jährige zwar eine negative Gesatm-Bilanz vorzuweisen, allerdings liegen die meisten Niederlagen schon sehr lange zurück. In der jüngeren Vergangenheit hatte Ovtcharov insbesondere die wichtigen Duelle für sich entschieden, etwa das Finale der European Games 2015 in Baku oder das EM-Finale 2013 in Schwechat. In Rio sollte es anders kommen.
Eine Verletzung-Unterbrechung Samsonovs im zweiten Satz, den der Weißrusse dann noch gewann, habe Ovtcharov nicht aus dem Konzept gebracht. „Das spielt keine Rolle. Es war vielleicht eine kleine Verunsicherung auf beiden Seiten, aber daran lag es definitiv nicht.“ Samsonov hatte sich eine Rippenverletzung zugezogen, sich behandeln und spritzen lassen. Nach dem Spiel fuhr er ins Krankenhaus. „Ich hatte in den letzten sechs Jahren schon häufiger Probleme mit den Rippen. Nach der Verletzung hatte ich Probleme beim Vorhand-Topspin, habe daher etwas passiver agiert und langsamer gespielt“, sagte Samsonov. Der 40-Jährige frühere Europameister und WM-Zweite wartet noch auf eine olympische Einzel-Medaille. „Ich bin jetzt nahe dran. Aber die Gegner sind sehr stark und ich muss schauen, wie schlimm die Verletzung wirklich ist.“ Ein Tag Regenerationspause hat Samsonov, ehe am Donnerstag Halbfinals, Spiel um Bronze und das Finale stattfinden.
„Dima hat einige Chancen liegenlassen, teilweise auch unglückliche Bälle kassiert und einfach zu wenig Konstanz gehabt. In einigen Situationen hat die Ruhe gefehlt“, sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf, der mit Samsonov bei Borussia Düsseldorf zusammenspielte und 1998 Doppel-Europameister mit ihm wurde. „Respekt vor Vladi, er ist ein großer Kämpfer“, so Roßkopf über de mittlerweile 40-jährigen Routinier und früheren Weltranglistenersten.
Ovtcharov Olympia 2016 Interview
Ovtcharov Olympia 2016 Interview
Man kann nur erahnen, was es für einen Spitzensportler bedeutet, sich über Monate und Jahre akribisch auf ein großes Ziel vorzubereiten – und es dann zu verpassen. Dimitrij Ovtcharov gibt nach dem Einzel-Viertelfinal-Aus Einblicke in sein Seelenleben. „Ich habe probiert, das so schnell wie möglich abzuhaken, um einfach so positiv wie möglich in das Mannschafts-Turnier zu gehen. Der volle Fokus gilt jetzt dem Team. Wir wollen eine Medaille holen“, sagt „Dima“. Am Samstag (20 Uhr) bestreitet Deutschland das schwere Achtelfinale gegen Taiwan.
Wie verliefen die beide Tage nach dem bitteren Viertelfinal-Aus?
Dima Ovtcharov: „Die ersten zwei Tage waren natürlich sehr hart. Mein großer Traum war hier, ins Einzel-Finale zu kommen – vor allem, nachdem ich die Auslosung gesehen habe, war das möglich. Oder zumindest eine Medaille zu holen. Ich habe mich sehr lange und sehr gewissenhaft auf Rio vorbereitet. Es ist umso mehr schade, dass einige Sachen nicht so liefen, wie ich mir das vorgestellt habe: Dass ich nicht mein volles Potenzial abgerufen habe, dass ich etwas Pech hatte, alles etwas unglücklich lief und dass ich am Ende meine Chancen nicht konsequent genug genutzt habe.“
Wie hast du dich ablenken können?
Ovtcharov: „Am Tag danach habe ich andere Sportarten geguckt, war mit Timo beim Basketball, dann waren wir ein Tag später noch beim Golf. Gestern Abend habe ich dann probiert, die ersten Schläge zu machen. Es lief noch sehr holprig, aber ich glaube, es war wichtig, mich zu bewegen. Heute habe ich auch das erste Mal wieder besser geschlafen, die Nächte vorher waren sehr unruhig.
Wie findest du jetzt den Wettkampf-Rhythmus wieder?
Ovtcharov: „Heute Morgen habe ich schon ein Balleimer-Training mit Xiaoyong (Assistenztrainer Zhu Xiaoyong) absolviert, später trainiere ich noch ein weiteres Mal mit der Mannschaft. Ich bin froh, dass wir erst am Samstag einsteigen und ich gehe fest davon aus, dass ich wieder eine Top-Leistung bringen kann. Der volle Fokus gilt jetzt dem Team. Wir wollen eine Team-Medaille holen.“
Hast du dir die Medaillen-Entscheidungen im Tischtennis noch angeschaut?
Ovtcharov: „Ich habe mir die Halbfinals, das Match um Bronze und das Finale angeschaut, das lasse ich mir nicht entgehen, auch wenn ein bisschen Wehmut mit dabei war, dass ich dieses Mal nicht mit von der Partie war.“
Hast du die Partie gegen Samsonov noch analysiert oder versucht, direkt abzuhaken?
Ovtcharov: „Ich wollte das Spiel nicht groß analysieren. Ich wusste direkt nach dem Spiel, was falsch gemacht wurde und wollte nicht zu sehr in die negativen Emotionen reingehen. Das würde mich zu lange nach unten drücken. Das hätte man machen können, wenn das Turnier beendet wäre. Aber da die Mannschaft direkt folgt, habe ich probiert, das so schnell wie möglich abzuhaken, um einfach so positiv wie möglich in das Mannschafts-Turnier zu gehen.“
Wie schätzt du den Achtelfinalgegner Taiwan ein?
Ovtcharov: „Taiwan ist die mit Abstand schwerste Mannschaft, die wir kriegen konnten. Mit Chuang Chih-Yuan haben sie einen Top-Spieler, mit Chen Chien-An einen der länger verletzt war, jetzt aber schon wieder unter den Top 30 zurück ist, letztens Zhang Jike geschlagen hat. Dazu ein saustarkes Doppel, ich glaube das sagt schon alles. Ich denke, wir haben in jeder Runde der Auslosung die maximal stärksten Gegner gezogen. Aber keine dieser Mannschaften ist besser als wir, und wir werden alles geben, ins Finale zu kommen, auch wenn es eine sehr, sehr schwere Aufgabe ist.“