Eine Patchwork-Familie und ein dunkles Geheimnis stehen im Mittelpunkt des Zweiteilers: Sternekoch Lennart (Jürgen Vogel) bringt durch die Geburt seines ersten Kindes zwar drei Generationen seiner Familie zusammen, aber sein Leben gerät aus dem Gleichgewicht. Als er nach einem Unfall im Koma liegt, kämpfen Mutter Lea (Iris Berben), Lebensgefährtin Mel (Anna Maria Mühe) und seine Affäre Nida (Natalia Belitski) um den Erhalt des Restaurants und der Familie. Lennart erscheinen im Koma verdrängte Bilder, mit denen er Lea konfrontiert, als er wieder aufwacht – doch sie blockt ab. Denn das Familiengeheimnis betrifft vor allem auch ihr Leben.
„Man kann und muss miteinander sprechen“ – Fragen an Schauspielerin Iris Berben
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Was hat Ihnen am Drehbuch von „Familie!“ besonders gefallen?
Heute steht Familie wieder deutlich mehr im Vordergrund. Familie bedeutet Sicherheitszone. Um uns herum herrscht eine Umwelt von Verunsicherung und verlorenen Werten. Das ist das Eine. Auf der anderen Seite existiert diese wirkliche konventionelle Familie gar nicht mehr. Das spiegelt unser Drehbuch sehr gut wider. Und mich hat beeindruckt, dass es in diesem Buch Platz für alle Figuren mit all ihren unterschiedlichen Vorstellungen von Familie gibt. Den Figuren wird genügend Platz eingeräumt, um ihre Vorstellungen eines gemeinsamen Lebens zu erklären und tatsächlich zu leben. Das hat etwas sehr Heutiges, etwas sehr Wahrhaftiges. Es ist wie eine Art Bestandsaufnahme des Begriffs Familie von heute, eine Art Status Quo, wie Familie heute funktioniert oder eben nicht.
Was ist Lea für ein Mensch? Was macht die Familie Behrwaldt aus?
Lea ist ein sehr klares Beispiel für eine Frau, die ihr eigenes Leben lebt. Man kann das als egoistisch betrachten; aber ich glaube, man kann von einem positiven Egoismus reden, wenn Menschen sich eine eigene Lebensform suchen, von der sie sagen: Das ist meine Definition von Leben, von dem, was mich glücklich macht und wie ich leben will. Lea Behrwaldt kommt aus einem Geflecht von Unwahrheiten und Verdrängungen. Ich finde, dass sie es sich in ihrer Form der ‚Komfortzone‘ – Erfolg, Beruf, Funktionieren – bequem gemacht hat. Damit kann sie gut umgehen. Merkwürdigerweise gesteht Lea die Freiheit, die sie selbst haben will und in der sie von außen nicht beeinflusst werden möchte, ihrem Sohn nicht zu. Wir kennen das alle, das Leben im Widerspruch: Auf der einen Seite analysieren wir, wie wir es machen und dann möchten wir, dass es bei den Freunden, Kindern, Enkelkindern besser läuft. Es ist ganz klar ein Widerspruch, wie Lea ihr Leben lebt. Das hat mich auch an dem Buch gereizt. Es geht hier um die spannende Frage, was bedeutet sich abzufinden, was bedeutet Verdrängung, Trennung, und wie geht man damit um. Ich finde das ist ein sehr lebensnahes Buch.
„Familie!“ zeigt ein mögliches Familienbild im Jahr 2016 – was macht Familie für Sie persönlich aus?
Für mich sollte Familie der Ort des absoluten Schutzraums sein. Es sollte keine Spielregeln geben. Regeln ja, aber keine Spielregeln. Offenheit und Verwundbarkeit, Schmerz, Suchen – alles sollte dort möglich sein. So stelle ich mir eine Familie vor, die funktionieren kann. Die Eigenständigkeit, die Eigenwilligkeit, die Individualität der einzelnen Familienmitglieder muss akzeptiert werden. Das ist die Arbeit, die man zu leisten hat. Das ist eine schwere Arbeit, da jeder seine eigenen Vorstellungen hat: Wie soll mein Kind, mein Enkelkind, mein Freund, mein Ehemann etc. sein. Jeder ist in solchen Vorstellungen gefangen. Es gab andere Generationen von Menschen und Familien, die nicht miteinander kommuniziert haben. Das kann man heute sehr wohl. Man kann und muss miteinander sprechen. Das macht Familie für mich aus: Vertrauen, Sicherheitszone aber eben auch Offenheit, so dass jeder für sich die Möglichkeit findet, sein Leben in der Form zu leben, in der er leben möchte – auch wenn die nicht konform ist, mit dem, was andere wollen. Aber diese Chance sollte jeder haben.
Im Laufe der Geschichte wird ein Geheimnis aufgedeckt, das Großmutter Alba und Mutter Lea seit Jahrzehnten vor Lennart verheimlicht haben. In wie weit können Sie das Verhalten von Alba und Lea nachvollziehen?
Ich kann das nur bedingt nachvollziehen. Die Mutter, Alba, stammt aus einer anderen Zeit. Sie ist in einem Korsett gefangen. Das hat mit ihrer Herkunft zu tun, ihrer Art zu leben, wie sie verheiratet war, was sie repräsentiert hat, wer sie war und was sie sein wollte. Hier wird eine gewisse Welt aufrechterhalten. Das ist ihr ganzer Schutz und auch ihre Möglichkeit. Bei Lea aber kann ich es nicht ganz nachvollziehen und ich bin hin und her gerissen. Einerseits ist sie der Mutter ein williges Werkzeug, weil sie zwar nie die gute Tochter war, sie jetzt aber sein will und das macht, was die Mutter einfordert. Indem sie aber die Wahrheit nicht ausspricht, nimmt sie ihrem eigenen Kind sehr viel und macht sich mit verantwortlich für die Unruhe des Jungen. Sie hätte ihm längst helfen können. Hier kommt wieder der Widerspruch zu Tage: die gehorsame Tochter der Mutter gegenüber, wodurch sie dieselben Fehler wie die Mutter ihrem eigenen Kind gegenüber macht. Ihrem Sohn hält sie auf Distanz und reagiert mit Unverständnis und Sprachlosigkeit. Was sie da seelisch mit dem Jungen macht, bedeutet, eine Menge Schuld auf sich zu laden.
Wenn Sie Ihrer eigenen Figur einen Ratschlag erteilen könnten, welcher wäre das?
Lebe, probiere aus, scheitere, stolpere, steh wieder auf, sei offen, sei weitsichtig, versuche viele Dinge zu rekapitulieren, verliere das Lachen nicht – vor allem das Lachen über sich selber. Ich glaube, es ist das, was man jedem Menschen sagen würde, dem man gerne einen Ratschlag geben möchte. Das würde ich meinen Freunden genauso sagen wie meiner Familie.
Für Sie waren es die ersten Dreharbeiten mit Regisseur Dror Zahavi. Was hat die Zusammenarbeit mit ihm ausgemacht?
Das war eine Zusammenarbeit, die ganz besonders war. Dror ist Israeli und lebt schon sehr lange in Deutschland. Für mich wird ein Bild der Familie auch ganz stark durch jüdische Familien, die ich in Israel kennen gelernt habe, geprägt: dass Großfamilien, Kinder, Enkelkinder gemeinsam an Traditionen festhalten. Was Familie, was Tradition und was Zerrissenheit bedeutet, wie lange eine Tradition zum Beispiel hält, diesbezüglich war Dror ein sehr sensibler Regisseur, der sich genau mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Es war auffallend, mit welcher Genauigkeit er zugehört, Vorschläge gemacht, korrigiert hat. Er geht mit unserer Sprache sehr behutsam um. Dror hat auf die einzelnen Charaktere aufgepasst, es ist ihm kein Blick, keine falsche Betonung entgangen. Da ist jemand, der unsere Sprache erst erlernen musste und der so genau und so richtig und so behutsam damit umgeht – das wird mir lange in Erinnerung bleiben!
Die Fragen stellten Janine Friedrich und Maike Magdanz
Sendetermine ZDF
Montag, 10. und Mittwoch, 12. Oktober 2016 jeweils 20.15 Uhr