Nur wenige Strecken im Rennkalender stellen die Bremsleistung eines Formel 1-Autos so auf die Probe wie Montréal. Die Fahrer fahren 60% einer Runde auf der schnellen, halbpermanenten Straßenstrecke mit Volllast. Dazwischen treten sie an mehreren starken Bremspunkten heftig in die Eisen. Das macht Montréal zu einer der forderndsten Strecken für die Bremsen im gesamten Kalender.
Der Circuit Gilles Villenmeuve stellt eine nahezu perfekte Mischung aus schnellen Geraden und engen Kurven dar. Dabei treten die Fahrer durchschnittlich mit einer Kraft von mehr als 750 kg auf die Bremse. Über die 70 Rennrunden entspricht das einer durchschnittlichen Pedalkraft von 52.500 kg. Der höchste Wert wird mit 120 kg in Kurve 13 erreicht.
Der Bremseffekt wird durch den schnellen Streckencharakter verstärkt. Denn dieser sorgt dafür, dass die Teams ihre Autos in Montréal mit einem geringen Luftwiderstand auf die Strecke schicken. Sie wollen auf den langen Geraden hohe Geschwindigkeiten erreichen, was dazu führt, dass die Autos mit wenig Strömungswiderstand aus noch höheren Speeds abbremsen müssen. Dies wird erschwert, wenn auf den beiden langen Geraden Rückenwind herrscht. Dann erreichen sie Top-Speeds von mehr als 327 km/h.
Die Strecke in Montréal besitzt sieben starke Bremszonen. Die stärkste ist Kurve 13 – eine scharfe Rechtskurve durch die Schikane, die dann auf die Gerade entlang der berüchtigten „Wall of Champions“ führt. Die Fahrer kommen an der letzten Schikane mit einer Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h an. Dann steigen sie auf das Bremspedal und verzögern in nur 90 Metern auf 140 km/h.
Im langsamsten Streckenteil bremsen die Fahrer in Kurve 10 (der Haadnadel) in ungefähr 120 Metern von 300 km/h auf 65 km/h ab. Beim Großen Preis von Kanada 2016 mussten die Fahrer einer durchschnittlichen Verzögerung von 4,3 G standhalten. Durch den zusätzlichen Abtrieb und die breiteren Reifen dürfen wir 2017 Verzögerungskräfte von mehr als 5 G erwarten – eine unglaubliche Zahl.
Die Bremspunkte kommen in Montréal rasch hintereinander. Der Fahrer steht für 19% einer Runde auf der Bremse. Diese hohe Frequenz, nicht nur die Härte der vielen Bremszonen, setzen die Teams beim Umgang mit dieser riesigen Menge Energie zusätzlich unter Druck.
Pro Rennen werden 149 kWh an Energie abgeleitet. Diese Energie wird in Hitze umgewandelt. Dabei erreichen die heutigen F1-Bremsen in einer einzigen Bremszone Temperaturen von bis zu 1.000 Grad Celsius. Diese enorme Hitze hat auch Einfluss auf die Reifen, die Bremszylinder und die Sensoren. Die Temperaturen müssen kontrolliert werden. Die Fahrer scheren deshalb oft aus dem Windschatten aus, um ihre Bremsen zu kühlen, bevor sie in die nächste Bremszone kommen oder die berüchtigte „Lift and Coast“-Taktik während des Rennens anwenden.
In Montréal ist es entscheidend, die Temperaturen im Verkehr zu kontrollieren. Das liegt an einem warmen Wochenende oft auch an den Umgebungstemperaturen. Sobald ein Fahrer seine Bremsen überhitzt, nutzen sie sich extrem stark ab, was wertvolle Performance kostet. Das Rennen ist ein Kampf über 70 Runden, um die Temperaturen im Griff zu behalten. In jedem Jahr erleben wir, dass nicht jeder als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht.
Um diese einzigartigen Herausforderungen zu bezwingen, bereiten sich die Teams besonders vor. Sie führen vor dem Kanada Grand Prix eine Reihe an Simulationen durch, um die involvierten Bremsenergien genau zu verstehen und sicherzustellen, dass die Kühlung des Autos ausreichend ist. Gleichzeitig bringen sie die dicksten Bremsscheiben und –beläge für das Wochenende mit.
Wie auch immer der Kanada Grand Prix an diesem Sonntag ausgehen wird, Montréal wird für die linken Füße von Lewis und Valtteri sicher ein gutes Fitnesstraining darstellen…
Formel-1 Großer Preis von Kanada 2017 – Vorschau
Toto über Kanada
„Für die Erfolge von gestern kannst du dir heute nichts mehr kaufen. Das hat schon Babe Ruth gesagt und er hatte damit recht. Jede Saison beginnt von vorne und mit einem neuen Reglement wie in diesem Jahr lassen sich frühere Erfolge heute nicht automatisch in Performance umwandeln. Denn Erfolg ist bekanntlich ein schlechter Lehrer. Wir sind mit einem starken Auto in die Saison gegangen, mit dem wir drei der ersten sechs Rennen gewinnen konnten. Gleichzeitig hat es uns mehr Schwierigkeiten bereitet, als wir das in den vergangenen Jahren erlebt haben.“
„Am Sonntagnachmittag bin ich in Monaco jemandem begegnet, den ich sehr respektiere. Die Person fragte mich, wie ich mich nach der Niederlage fühlen würde. Ich antwortete, wie sehr es schmerzte und die Reaktion lautete: „Das ist Motorsport.“ Genau so sieht die Situation aus, in der wir uns gerade befinden. Wir müssen für jeden Sieg, jede Pole Position, jeden Podestplatz und jeden Punkt mit allem, was wir haben, kämpfen. Man darf nicht mehr erwarten, dass die beiden Mercedes immer an der Spitze der Zeitenliste stehen.“
„Jeder in den Werken arbeitet mit Volldampf daran, unsere aktuellen Schwierigkeiten anzugehen. Wir müssen unsere Ziele festlegen, mit den vorhandenen Daten arbeiten und dann die richtigen Lösungen finden. Einige dieser Lösungen sind kurzfristig, andere dauern vielleicht etwas länger. Wir hatten schon früher schwierige Wochenenden. Jetzt geht es darum, sich widerstandsfähig zu geben und wieder aufzustehen. Ich erinnere mich noch an die Probleme, die wir in Singapur 2015 hatten. Das tat damals wahnsinnig weh. Wir setzten uns eine Deadline, um den Rückschlag zu analysieren und konzentrierten uns danach auf das nächste Rennen in Suzuka – das wir gewonnen haben. Das gleiche haben wir nach Monaco gemacht. Wir gingen die Probleme an und widmeten uns danach Montreal. Denn wir wissen, dass diese Saison ein Marathon und kein Sprint ist.“
„In Kanada erwarte ich ein interessantes Wochenende. Angesichts des Streckenverlaufs könnte es für uns ein kniffliges Rennen werden. Gleichzeitig liegt die Strecke unseren beiden Fahrern. Lewis hat dort in der Vergangenheit schon einige Male gewonnen und auch Valtteri war auf diesem Kurs im Williams immer stark. Es wird darauf ankommen, unsere Hausaufgaben zu erledigen und den Fahrern ein Auto zu geben, mit dem sie erfolgreich sein können. Wir haben zwei exzellente Fahrer und wir halten an unserer Philosophie fest, sie gegeneinander antreten zu lassen, um das Team damit weiterzubringen – obwohl das manchmal schwierig sein kann, da nicht immer derjenige Fahrer gewinnt, der in der Weltmeisterschaft gerade vorne liegt.“