Filme Berlinale Panorama 2021

Berlinale Panorama 2021. „Kämpferisches, politisches Kino prägt den Jahrgang 2021. Der filmische Blick von starken Regisseurinnen, junges kritisches Kino aus dem Nahen Osten sowie indigene und queere Erzählungen setzen klare Schwerpunkte im Panorama”, kommentiert Sektionsleiter Michael Stütz. „Die Filmemacher*innen beziehen Stellung in ihren Beobachtungen, reflektieren über individuelle Konflikte und kollektive Traumata, indem sie politische und zwischenmenschliche Machtverhältnisse hinterfragen und Haltung fordern.“

Eingeladen ist das neue Werk des französischen Regisseurs Damien Odoul Théo et les métamorphoses (Theo and the Metamorphosis), ebenso wie das türkische Drama Okul Tıraşı (Brother’s Keeper) von Ferit Karahan über den schwierigen Alltag kurdischer Schüler eines Internats im Bergland Anatoliens. Ein Highlight für Fans des Horror-Genres ist das medial bereits viel gelobte Debüt Censor von Prano Bailey-Bond.

Neue deutsche Filme
Der deutsche Film verweist mit Monika Treuts Genderation zunächst in die Vergangenheit. 20 Jahre nach ihrem mit einem TEDDY ausgezeichneten Panorama-Film Gendernauts reist Monika Treut erneut in die USA und sucht die Trans-Pionierinnen und -Aktivist*innen von damals auf. Genderation spürt dabei nicht nur veränderten Lebensentwürfen nach, sondern zeichnet gleichzeitig ein prägnantes Porträt der Vereinigten Staaten gegen Ende der Trump-Ära.
Anne Zohra Berrached, zuletzt im Berlinale-Wettbewerb mit 24 Wochen vertreten, erzählt in Die Welt wird eine andere sein (Copilot) die Geschichte der jungen Studentin Asli, die sich zwischen Selbstbestimmung, ihrem traditionellen Elternhaus und ihrer aufopfernden Liebe zu Saeed selbst verorten muss.
Mit einer Charakterstudie kehrt Henrika Kull mit ihrem zweiten Film ins Panorama zurück. Glück erzählt die Geschichte der beiden Sexarbeiterinnen Maria und Sascha, die sich im Job kennen und lieben lernen. Mit Leichtigkeit und Präzision porträtiert sie einen Arbeitsplatz, der oftmals verklärt dargestellt wird. Dabei schafft Glück es, greifbare Figuren mit Tiefe und Glaubwürdigkeit zu inszenieren.

Identität und Selbstfindung. Kino aus dem Nahen Osten.
Auffallend stark vertreten ist dieses Jahr der Nahe Osten mit vier jungen Regisseur*innen aus dem Libanon, Israel und Ägypten. Die ägyptische Regisseurin Ayten Amin erzählt in Souad vom Spannungsfeld verinnerlichter gesellschaftlicher Zwänge und persönlicher Selbstverwirklichung. In Miguel’s War hingegen begleiten wir einen schwulen Mann, der vor Krieg und Repression aus dem Libanon ins hedonistische Madrid der Post-Franco-Ära floh. 37 Jahre danach kehrt Miguel mit Regisseurin Eliane Raheb zurück, um sich seinen inneren Konflikten zu stellen. Im Spielfilmdebüt von George Peter Barbari wollen junge Libanesen ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Hilfe einer Sexarbeiterin machen. Death of a Virgin, and the Sin of Not Living dekonstruiert einen globalen maskulinen „rite de passage”. In Mishehu Yohav Mishehu (All Eyes Off Me) lotet Regisseurin Hadas Ben Aroya in entwaffnenden Bildern die Grenzen zwischen Begehren und Verletzlichkeit aus.

Facetten des Widerstands. Indigenes Kino aus Kanada und Brasilien.
Der kritische Blick auf koloniale Praktiken und die Dringlichkeit des Widerstands, bildet einen weiteren programmatischen Schwerpunkt im Panorama 2021. Die kanadische Regisseurin Danis Goulet entwirft in Night Raiders eine dystopische First-Nations-Fabel und erzählt vom kollektiven Kampf gegen ein faschistisches Militärregime. Im hybriden Wechsel lernen wir im Amazonas den Alltag und die Ursprungsmythen der Yanomami in A Última Floresta (The Last Forest) kennen. Luiz Bolognesi zeigt deren Kampf um den Erhalt ihres Lebensraums und ihrer Traditionen.

Dokumentarische Beobachtungen
Das dokumentarische Kino überzeugt mit Erzählungen aus der Ich-Perspektive, Charakterstudien und fiktionalen Reflexionen über dokumentarisches Arbeiten. In der amerikanischen Peripherie begegnet Angelo Madsen Minax nach langer Abwesenheit seiner Familie. North By Current folgt der familiären Annäherung nach einem tragischen Familienschicksal und der Reflexion von Minax‘ Transmaskulinität. Carlos Alfonso Corral schildert in der von Roberto Minervini produzierten Nahaufnahme die Nöte und Hoffnungen der obdachlosen Protagonistinnen auf den Straßen der Grenzstädte El Paso und Ciudad Juárez. Dirty Feathers ist ein emphatisches Porträt werdender Eltern, Töchter und Veteranen und deren Leben und Überleben im gesellschaftlichen Abseits. Im japanischen fiktionalen Beitrag Yuko No Tenbin (A Balance) erzählt Yujiro Harumoto vom Balanceakt des dokumentarischen Arbeitens zwischen filmischen und realen Wahrheiten und kreist um die Frage, ob man sie gegeneinander ausspielen darf.

Während des virtuellen EFM werden in der ersten Märzwoche vom Panorama und dem TEDDY-Team kuratierte Panels und Diskussionen für alle Interessierten täglich auf der TEDDY-Website live gestreamt (www.teddyaward.tv).

Die Filme der diesjährigen Panorama-Auswahl entziehen sich einfachen Kategorisierungen. Sie vereinen durch die Geschichten, die sie uns, dem Publikum, übergeben. Im Juni wird unsere Stadt wieder zur Berlinale-Leinwand und das Kino zum Ort der Begegnung und Diskussion. Wir sehen uns!

Die Panorama-Filme
*Weltpremiere zeigt an, dass dieser Film noch keinem Publikum vorgeführt wurde. Da er nur einem Fachpublikum (Industrie und Presse) als Online-Vorführung zugänglich gemacht wird, behält er seinen Status als Weltpremiere, bis er öffentlich in Kinos oder auf Festivals präsentiert wird.

Censor
Vereinigtes Königreich
von Prano Bailey-Bond
mit Niamh Algar, Michael Smiley, Nicholas Burns, Vincent Franklin, Sophia La Porta
Debütfilm

Als die Filmzensorin Enid einen Horrorfilm ansieht, wird ihr Trauma über das Verschwinden ihrer Schwester wachgerufen. Auf den Spuren des Films und seines Regisseurs beginnt sie eine Suche, bei der die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen.

Death of a Virgin, and the Sin of Not Living
Libanon
von George Peter Barbari
mit Etienne Assal, Adnan Khabbaz, Jean Paul Frangieh, Elias Saad, Feyrouz Abi Hassan, Souraya Baghdadi
*Weltpremiere / Debütfilm

Gute Freunde legen Geld zusammen, um ihren ersten Sex zu erleben. Den Weg zur Sexarbeiterin begleiten prahlerische Teenagergespräche, aber auch sensible innere Monologe. Poesie und soziale Wirklichkeit prallen schmerzhaft aufeinander.

Dirty Feathers
USA / Mexiko
von Carlos Alfonso Corral
*Weltpremiere / Debütfilm / Panorama Dokumente

Auf den Straßen der Grenzstädte El Paso und Ciudad Juárez treffen wir auf Menschen, die ohne Obdach leben. In intimen, unvoreingenommenen Schwarz-Weiß-Bildern fängt der Film ihren Alltag ein, das Leben auf der Straße, ihre Hoffnungen und ihren Glauben.

Genderation
Deutschland
von Monika Treut
*Weltpremiere / Panorama Dokumente

20 Jahre nach Gendernauts sucht Monika Treut die Pionierinnen der Trans-Bewegung von damals auf und zeigt, wie sich deren Leben und Aktivismus weiterentwickelt haben, wie sie in ihre Identitäten hineingewachsen sind und ihre Energie bis heute wirkt.

Glück (Bliss)
Deutschland
von Henrika Kull
mit Katharina Behrens, Adam Hoya, Nele Kayenberg, Jean-Luc Bubert
*Weltpremiere

Zwei Sexarbeiterinnen finden sich in einem Berliner Bordell. An einem Ort, an dem der weibliche Körper eine Ware ist, erleben sie Momente des Glücks. Ein kämpferischer Liebesfilm über Anziehung, Ängste und Selbstbestimmung.

Kelti (Celts)
Serbien
von Milica Tomović
mit Dubravka Kovjanić, Stefan Trifunović, Katarina Dimić, Anja Đorđević
*Weltpremiere / Debütfilm

Belgrad 1993. Die aufgestaute Anspannung ungewisser Zeiten entlädt sich auf einem Kindergeburtstag. Während die Kinder im Wohnzimmer als Ninja Turtles verkleidet feiern, diskutieren und flirten die Erwachsenen rauchend und saufend in der Küche.

Der menschliche Faktor (Human Factors)
Deutschland / Italien / Dänemark
von Ronny Trocker
mit Mark Waschke, Sabine Timoteo, Jule Hermann, Wanja Valentin Kube

Jan nimmt ohne Rücksprache mit seiner Frau und Agenturpartnerin Nina einen Auftrag für eine politische Kampagne an. Ein mysteriöser Einbruch überschattet den Familienurlaub. Das Psychogramm einer Familie, erzählt aus verschiedenen Perspektiven.

Miguel’s War
Libanon / Deutschland / Spanien
von Eliane Raheb
*Weltpremiere / Panorama Dokumente

Porträt eines schwulen Mannes, der sich den Geistern seiner Vergangenheit stellt. 37 Jahre nach seiner Flucht vor Krieg und Repression reist Miguel in den Libanon und geht versteckten Sehnsüchten, unerfüllter Liebe und quälenden Schuldgefühlen auf die Spur.

Mishehu Yohav Mishehu (All Eyes Off Me)
Israel
von Hadas Ben Aroya
mit Elisheva Weil, Yoav Hait, Leib Lev Levin, Hadar Katz
*Weltpremiere

Danny ist schwanger von Max. Der probiert mit Avishag deren sexuelle Fantasien aus. Sie will beim Sex geschlagen werden. Ihre Blutergüsse trägt Avishag zu Dror, dessen Hund sie sittet. Ein Generationenporträt, das die Frage stellt: Wie frei sind wir wirklich?

Le monde après nous (The World After Us)
Frankreich
von Louda Ben Salah-Cazanas
mit Aurélien Gabrielli, Louise Chevillotte, Saadia Bentaïeb, Jacques Nolot
*Weltpremiere / Debütfilm

Als der junge, mittellose Schriftsteller Labidi Elisa kennenlernt, ist es für ihn die große Liebe. Aber Paris ist teuer. Auf hinreißende Art vereint der Film klassische Nouvelle-Vague-Themen mit Fragen nach Herkunft, Nähe und Distanz.

Night Raiders
Kanada / Neuseeland
von Danis Goulet
mit Elle-Máijá Tailfeathers, Brooklyn Letexier-Hart, Alex Tarrant, Amanda Plummer
*Weltpremiere / Debütfilm

In einer dystopischen Zukunft gelten Kinder als Besitz des Militärregimes, das sie in einem Internat zu Kämpfer*innen ausbildet. Eine Cree-Frau versucht, ihre Tochter zurückzuholen. Eine Parabel auf die Situation der First Nations aus weiblicher Sicht.

North By Current
USA
von Angelo Madsen Minax
*Weltpremiere / Panorama Dokumente

Der ungeklärte Tod der Nichte führt den Regisseur zurück zu seiner Familie. Die Untersuchung von Unrecht und Behördenwillkür wird zur kathartischen Familientherapie. Ein persönlicher Essay über Mutterschaft, Trauerarbeit und Trans*maskulinität.

Okul Tıraşı (Brother’s Keeper)
Türkei / Rumänien
von Ferit Karahan
mit Samet Yıldız, Ekin Koç, Mahir İpek, Melih Selçuk, Cansu Fırıncı, Nurullah Alaca
*Weltpremiere

Fein gesponnenes Drama im Mikrokosmos eines autoritären Internats im anatolischen Bergland. An einem Wintertag zeigt sich das Versagen des mächtigen Erziehungsapparats, dem der zwölfjährige Yusuf und sein Freund ausgeliefert sind.

Souad
Ägypten / Tunesien / Deutschland
von Ayten Amin
mit Bassant Ahmed, Basmala Elghaiesh, Hussein Ghanem
*Weltpremiere

Auf Social Media, als fleißige Studentin, als gehorsame Tochter – die 19-jährige Ägypterin Souad hat mehrere Identitäten. Nachdem sich ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben zerschlagen, begibt sich ihre jüngere Schwester auf Spurensuche.

Ted K
USA
von Tony Stone
mit Sharlto Copley
*Weltpremiere

Ted K nähert sich der Gedankenwelt des Unabombers Ted Kaczynski auf radikale Weise: In intensiven Bildern und mit Texten aus Kaczynskis Pamphleten entsteht kein konventionelles Biopic, sondern eine meditative Komposition und emotionale Erkundung von Gewalt.

Théo et les métamorphoses (Theo and the Metamorphosis)
Frankreich
von Damien Odoul
mit Théo Kermel, Pierre Meunier, Élia Sulem, Louise Morin, Ayumi Roux
*Weltpremiere

Théo, ein 27-Jähriger mit Down-Syndrom, lebt mit seinem Vater abgeschieden im Wald. Täglich trainiert er seinen Körper, um Samurai zu werden. Eines Tages verreist der Vater und Théo ist allein mit seiner Gedankenwelt. Er beschließt, ein neues Leben zu beginnen.

A Última Floresta (The Last Forest)
Brasilien
von Luiz Bolognesi
*Weltpremiere / Panorama Dokumente

Bildgewaltig, mit beobachtenden und inszenierten Sequenzen im Wechsel und mit dichten Soundscapes dokumentiert Luiz Bolognesi die indigene Gemeinschaft der Yanomami und beschreibt deren bedrohte Lebenswelt im Amazonas-Regenwald.

Die Welt wird eine andere sein (Copilot)
Deutschland / Frankreich
von Anne Zohra Berrached
mit Canan Kir, Roger Azar, Özay Fecht, Jana Julia Roth, Ceci Chuh, Nicolas Chaoui
*Weltpremiere

Mitte der 1990er-Jahre verlieben sich Asli und Saeed. Obwohl ihre Mutter gegen die Beziehung ist, heiraten sie heimlich. Dann verschwindet er. Der feinfühlige Liebesfilm erzählt, wie Saeed Aslis Leben verändert – bevor die ganze Welt erschüttert wird

Yuko No Tenbin (A Balance)
Japan
von Yujiro Harumoto
mit Kumi Takiuchi, Ken Mitsuishi, Masahiro Umeda, Yuumi Kawai

Yukos neuer Dokumentarfilm soll die wahre Geschichte hinter dem Skandal einer Beziehung zwischen einer Schülerin und ihrem Lehrer erzählen. Als Yuko von einem Verhältnis ihres eigenen Vaters mit einer seiner Schülerinnen erfährt, muss sie ihre Prinzipien überdenken.